Wie Japaner ticken: Die Rolle der Schulen

Interessantes von der und/oder für die Community wie Veranstaltungen, Blogs uvm.

Wie Japaner ticken: Die Rolle der Schulen

Veröffentlich am von Pilop
Nachdem einem Anime regelmäßig einen (oftmals geschönten) Einblick in die japanische Gesellschaft geben, ist es nicht verkehrt sich auch mal mehr mit den Unterschieden zu unserem Denkmodell und unseren Gesellschaftsvorstellungen zu befassen. Das nehme ich als Anlass um hier einen Einblick in die Rolle der Schulen in Japan zu geben, basierend auf dem Artikel „Breaking the Rules in Japanese Schools: Kosoku Ihan, Academic Competition, and Moral Education“ von Benjamin Hill.

Das was einem beim Stichwort japanisches Schulsystem meistens als erstes in den Sinn kommt, ist die shiken jigoku oder Prüfungshölle, sprich die Eintrittsexamen für High Schools und noch viel wichtiger für die Universitäten. Diese Examen bestimmen wer in welche Bildungseinrichtung aufgenommen wird und legen damit auch zu großen Teilen seine spätere Karriere fest. Wer es in eine gute High School schafft, wobei sich die Qualität der Schulen danach richtet, wie viele ihrer Schüler es später auf die guten Universitäten schaffen, der hat den ersten Schritt zu einem erfolgreichen Leben schon getan. Doch selbst die beste Schule ist noch kein Garant für das Bestehen der Aufnahmeprüfung, weshalb der Besuch eines juku, eines Nachhilfeinstituts, schon fast obligatorisch ist und auch zusätzliche Lernjahre als ronin besonders unter den Burschen nicht selten sind, um die Prüfung schlussendlich doch noch zu schaffen.

Hört man nun davon, stellt man sich schnell die Frage, warum es zu keiner Reform eines solchen extremen Systems kommt, besonders da sogar die japanische Bevölkerung keine positiven Worte dafür findet. Der Grund ist ein Mangel an Alternativen, denn die Öffentlichkeit kann sich kein anderes Bildungssystem vorstellen, das den gleichen korruptionsarmen Weg zur höherer Bildung und damit gesellschaftlichen Aufstieg bieten kann. Ein weiterer Aspekt, der meist nicht beachtet wird, jedoch einen erheblichen Unterschied zu anderen Schulsystemen darstellt ist, dass dadurch, dass sich der Wettbewerb unter den Schülern auf eine externe Prüfung konzentriert, innerhalb der Schulen die Konkurrenz vergleichsweise gering ist. Schulnoten bestimmen schlussendlich nicht die weitere Laufbahn und haben deshalb einen geringeren Stellenwert als in westlichen Systemen. Japanische Schüler müssen quasi nie ein Schuljahr aufgrund ihrer schulischen Leistungen wiederholen. Die Noten sind mehr ein Indikator für die „normale“ Entwicklung des Kindes und auch Eltern messen ihnen keine allzu große Bedeutung zu. Die Konkurrenz verlagert sich eher nach außen. So stehen mehr die Schulen untereinander im Wettbewerb, denn in jeder Nachbarschaft gibt es ein in Zeitschriften veröffentlichtes Ranking, das sich danach richtet wie viele Abgänger der Schule es auf eine der ebenfalls gereihten Universitäten geschafft haben. Den Eltern ist die Position der diversen Schulen bekannt, weshalb natürlich versucht wird die Kinder in eine möglichst gute zu bekommen. Durch die Selektion durch die Eintrittsexamen führt dann in der Folge auch wiederum dazu, dass die Schüler zumindest ein ähnliches Niveau haben, was den innerschulischen Wettbewerb wieder etwas verringert.

Diese Ausrichtung auf externe Ziele wirkt sich dann natürlich auch innerhalb der Schule aus. So gilt das Schummeln bei Aufgaben in Japan als Kavaliersdelikt, das von Lehrern zwar getadelt wird, aber keine weiteren Konsequenzen hat. Das steht im völligen Kontrast etwa zur amerikanischen Auffassung, dass Betrügen etwas Unehrenhaftes und schädliches ist. Erklärbar sind die Unterschiedlichen Ansichten wieder damit, dass in Amerika der Fokus auf innerschulischen Wettbewerb unter den Schülern, ausgetragen durch die Noten, gelegt wird, während in Japan rein die Eintrittsexamen von Bedeutung sind, wodurch im Unterricht schummeln als wenig dramatisch angesehen wird. Nur bei Tests ist es explizit verboten, zieht aber ebenfalls keine allzu großen Konsequenzen nach sich. Anders verhält es sich naturgemäß bei den Eintrittsexamen, bei denen aber schon allein die räumliche Trennung der Schüler, sowie eine rigorose Aufsicht, das Schummeln nahezu unmöglich macht.

Einer der vielleicht größten Unterschiede zwischen den Schulen Japans und der westlichen Welt zeigt sich im Bereich der moralischen Erziehung. Was bei uns als klassische Aufgabe der Eltern gilt, fällt ihn Japan oft den Schulen zu, deren Regeln und Bestimmungen dadurch auch auf das außerschulische Leben Bezug nehmen. Das explizite lehren von gesellschaftlicher Moral hat in Japan einen weit höheren Stellenwert als in anderen Gesellschaften und ist während der gesamten neunjährigen Schulpflicht fixer Bestandteil des Stundenplans, auch wenn auf nur eine Stunde pro Woche beschränkt. Die Autorität der Schule zeigt sich in deren Regeln, die tief in das Privatleben der Schüler eingreifen. Verbreitete Bestimmungen sind etwa das Verbot Restaurants, Kaffeehäuser, etc. auf dem Heimweg von der Schule zu besuchen, Vorschriften bezüglich der Frisur der Schüler, Verbot von Piercings und Nagellack, rigorose Bestimmungen hinsichtlich Schuluniform sowie das Verbot ohne Erlaubnis der Schule einen Führerschein zu machen, einen Teilzeitjob anzunehmen oder auf Reisen zu gehen. Im Gegenzug zu diesen Rechten der Schule, fällt das Verhalten der Schüler auch auf diese zurück und so werden Missetaten der Kinder eher der Schule als den Eltern vorgeworfen, die sich dann auch dafür zu entschuldigen hat und geeignete Erziehungsmaßnahmen für den Schüler finden muss. So werden Lehrer zu den Ansprechpersonen der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder und folgen durch die moralische Autorität der Schule auch meistens deren Ratschlägen.

Hand in Hand mit dieser Einstellung gehen auch die Bestrafungen der Schüler, die sich trotz theoretischen Verbotes auch in Form von körperlicher Gewalt zeigen. Obwohl die Bevölkerung diese Strafen ablehnt, wird nur selten eingegriffen, was vergleichbar ist wie wenn man sich in unseren Breiten nicht gerne einmischt wenn die Eltern ihr Kind schlagen, nur dass in Japan die Position der Eltern den Lehrern zukommt. Dass sich die disziplinäre Erziehung stärker auf die Schule konzentriert, führt gleichzeitig dazu, dass die Kinder in den Familien selbst eher verwöhnt werden und ihnen viele Freiheiten gewährt werden. Als Ausgleich verlangen die Eltern dann schon mal von den Lehrern mit den Schülern strikter zu sein. Nur wenn es von Seiten der Lehrer zu Kindesmissbrauch kommt bzw. extremes Mobbing seitens der anderen Schüler von diesen toleriert wird, regt sich auf breiter Front Widerstand in der Bevölkerung, wobei man hier wieder die Parallele zu gleichen Vorfällen innerhalb der Familie in Europa und Amerika ziehen kann.

Das war es mit meinem ersten Blogeintrag und dem kleinen Einblick in manche Aspekte der japanischen Gesellschaft anhand des obgenannten Artikels. Natürlich spricht auch er nur manche Aspekte des japanischen Schulsystems an und klammert etwa die aus dem Druck durch die Eintrittsexamen entstehenden massiven Mobbingvorfälle unter den Schülern aus, aber er macht einem doch manche Verhaltensweisen, wie sie auch in Animes vorkommen, verständlicher.
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0

Kommentare (23)

Avatar: airkem#1
hätte nicht gedacht, dass das japanische schulsystem dem der türkischen so ähnlich ist.
aber das system ist meiner meinung nach nicht so gut. da brauchst du während der schulzeit fast gar nicht lernen und paukst dann ein jahr vor den großen test und schon hast man seinen abschluss.
ok, ist zwar nicht so einfach, aber es würde klappen. hier in dtld. ist man doch unter dauer-prüfungs-stress.
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Wurstbrot#2
Ein wirklich interessanter Blogeintrag. Sehr informativ und flüssig zu lesen. Mir hat er sehr gefallen. Ich hoffe es kommen noch weitere solcher Blogeinträge von dir
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Firo#3
Irgendwie ließt sich der Blog wie ein mit Vorurteilen aneinander gereihter Text, mit dem "Fachwissen" aus diversen "School Anime"... (wirkt nur so)

Nichtsdestotrotz steckt wohl auch viel Wahrheit dahinter. Ein allgemeiner Vergleich zwischen dem japanischen Bildungssystem und allen westlichen, halte ich aber für verkehrt, da es doch viele Unterschiede gibt. Auch ist der Tenor hier zu negativ geraten, ansonsten sehr schön.

Ich weiß zwar nicht ob erwünscht (wird schon nicht so schlimm sein^^), aber hier noch zwei recht interessante Seiten zum Thema.

Das japanische Bildungssystem (netter und zum Teil witziger Artikel)
Japanese Education in the 21st Century (gleich mal ein komplettes Buch, online zum lesen. Englisch!)
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Konata Fan#4
Hut ab für den Aufwand. Ich schliese mich Wurstbrot an und kann auch nur sagen sehr sehr interessant und wissenswert. Freue mich schon auf den hoffentlich kommenden nächsten Blogeintrag^^
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Pilop
V.I.P.
Themenstarter#6
Um noch etwas Zusatzinformationen zu liefern: Also der Text ist wie schon gesagt eine Zusammenfassung von dem genannten Artikel von Benjamin Hill, der insgesamt 4 Jahre als Unidozent in Japan tätig war und während dieser Zeit seine Informationen in Interviews mit Lehrern und seinen Studenten sowie kurzen Schulbesuchen gesammelt hat. Vielleicht kommt es ja falsch rüber, aber der Tenor ist im eigentlichen Artikel nicht wirklich negativ, stellt sich sogar explizit gegen allzu negative Ansichten anderer ausländischer Autoren und führt diese zu großen Teilen auf die Unkenntnis über die Besonderheiten der japanische Gesellschaft zurück. Was hier dargestellt werden soll ist eher, dass Dinge wie Erziehung in Japan eben anders laufen, ohne dass man es gleich verdammen muss. Nur muss man dann eben umdenken wenn man zB die Bestrafung durch die Lehrer verdammt, gleichzeitig aber bei innerfamiliäre Gewalt in der eigenen Gesellschaft lieber wegschaut.
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: ThetaN#7
Interessanter Blogeintrag, danke.
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Daniel#8
Also das die Erziehung den Lehrern überlassen wird ist schon SEHR FAHRLÄSSIG. Die Erziehung eines Kindes ist Sache der Eltern "die das Kind gemacht haben" und nicht von wildfremden Leuten mit eigenen Vorstellungen. Da bekommen die Eltern nach der Schulzeit ein ausgewechseltes Kind zurück, aufgezogen mit fremden Vorstellungen von Autorität, Gesellschaft, Wirtschaft, etc.

Da ist schon eine starke Gefahr vorhanden, dass die Erziehung des Volkes von Lehrern (einzelnen Personen) gelenkt werden kann, in die gute oder schlechte Richtung.

PS: Intressanter Blog

MfG
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: smoov#9
wow danke!!!
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: naich#10
Jetzt bin ich erst recht verdammt froh, in der westlichen Welt aufgewachsen zu sein. Ich erkenne schon den Unterton in diesem Blogeintrag (= wie von Pilop bereits genannt), trotzdem wirkte das ganze irgendwie eher negativ auf mich.

Was ich nicht verstehe ist, dass sich die Japaner kein anderes Schulsystem vorstellen können. Ähh...hallo? Spätestens seit Commodore Perry sollte das "Ideen von anderen Kulturen suchen/klauen" kein Problem mehr darstellen...
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Tamma#11
Netter Eintrag.
Da ich vorhabe bald nach Japan einen Schüleraustausch zu machen habe ich über das Schulsystem auch schon mit meinen Elter geredet.

Aber das Hilft mich noch sehr viel weiter.

Ich weis net ob ichs villeicht überlesen haben, aber sonst ergänze ichs mal.
Durch dieses Schulsystem hat Japan es auch geschaft, dass es zum Land mit den meisten Selbstmorden geworden ist.
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Yuri#12
Oh Gott ich bin Froh das das bei uns hier föllig anders läuft als da hinten in Japan!!!
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Lebbo
V.I.P.
#13
Interessanter Text, Erziehung in Japan bzw generell Asien ist eh ein heikles Thema...so einen ähnlichen Bericht hab ich zu Zeiten von Olympia gesehn, wo der (sportliche) Erfolg über Allem steht, alles andere ua. Erziehung muss hinten anstehen, vielmehr übernimmt diese Rolle der Trainer mit teils seeehr fragwürdigen Methoden, passt nicht hunderprozentig dazu, aber geht in eine ähnliche Richtung...man muss ma einfach beim gesamten Leistungssystem speziell in Japan umdenken
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Labbes#14
Ich finde es erstaunlich, wie neutral der ganze Artikel wirkt. Während viele Dinge auf den europäischen Betrachter wohl sehr befremdlich wirken, wird hier alles sehr sachlich dargestellt, und die ersten negativen Gedanken ("Wie, die Lehrer erziehen die Kinder??") sehr schnell verdrängt, weil sehr gut dargestellt, bzw. sogar argumentiert wird. Ich bin echt beeindruckt und würde mich freuen, mehr solche Artikel zu lesen!
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
Avatar: Tessa-Hime#15
Ich kann mir gut vorstellen,dass es in Japan vor diesen Prüfungen sehr stressig ist,aber G8 in Deutschland ist auch nicht so das Wahre.Ich als "G8 Versuchskaninchen" schreibe zurzeit 3-4 Klassenarbeiten wöchentlich(un das geht noch bis zu den Weihnachtsferien so weiter).Deshalb denke ich,dass die japanischen Prüfungen auch nicht viel schlimmer als G8 sein können.
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0
    • ×0

Cover

Wir suchen Newsschreiber!

Du bist immer auf dem Laufenden was Neuigkeiten aus den Bereichen Anime, Manga oder Japan betrifft? Dir macht das Verfassen von Texten Spaß? Dann mach bei aniSearch mit und unterstütze uns dabei und werde so ein wichtiger Teil der Community.

Wieviel Du Dich dabei einbringen möchtest, entscheidest Du jederzeit selbst, Du gehst keine Verpflichtungen ein. Kontaktiere uns als registriertes Mitglied ganz einfach und formlos über unser Support-Formular. Bei besonderem Engagement nehmen wir Dich gern als Redakteur in unser Team auf. Wir freuen uns über jede Zuschrift, in der wir dann gern die näheren Details klären.
Discord

Teilen

Neuigkeiten