Fastest Finger First (2017)

Ganbatte... ein Hauptdarsteller (oder mehrere davon) werden in ihren Persönlichkeiten so gut wie möglich vom Typus des durchschnittlichst möglichen Durchschnittskonsumenten abgeleitet und mit einem speziellen, einzigartigen Talent versehen. Dieses schlummerte bislang vor sich hin, kann nun entdeckt und nur dank aufopferungsreichen Trainings und noch zu erlernenden Durchsetzungsvermögens kultiviert werden. Nach Überwindung verschiedenster Hindernisse steht am Ende der große Sieg bei einem großen Wettkampf - oder eine Niederlage inklusive Cliffhanger für die nächste Staffel. Heißt das also: Kennt man einen, kennt man alle?

Wenn man die oben genannten Kriterien anwendet, ist Nanamaru Sanbatsu zu Beginn erst einmal keine Ausnahme. Shiki Koshiyama verbringt seinen ersten Tag als Oberschüler an seiner neuen Schule. Er ist eine relativ schüchterne Leseratte und hatte sich in der Mittelschule angewöhnt, sich mittags mit seinem Bento in die Schulbibliothek zu verziehen, irgendwo sichtgeschützt zwischen den Bücherregalen - auf dass er Ruhe vor seinen lauten und oberflächlichen Mitschülern habe. Wenn er fertig gespeist hatte, war immer noch Zeit übrig, bevor der nächste Unterricht anfing, und die nutzte er als Leseratte natürlich dazu, sich über neue Bücher zu informieren oder einfach kreuz und quer zu lesen. Prosa und Lyrik interessieren ihn besonders, wobei er sich von Anfang an nicht nur auf japanische Werke konzentriert hat. Romane und Geschichten ermöglichen es Shiki, am Leben ihrer Protagonisten und an deren Interessen teilzuhaben. Diese Interessen wiederum, wenn gut recherchiert, weckten schon immer Shikis Aufmerksamkeit und den Wunsch, sich am Baum des Wissens entlang zu hangeln, um die Entscheidungen seiner HeldInnen besser zu verstehen. Ein bislang nicht beachteter Nebeneffekt seiner Angewohntheiten besteht darin, dass er sich ein umfassendes Allgemeinwissen zugelegt hat, wovon allerdings nicht viele Menschen wissen, weil er eben kaum redet.

Immer schön unter dem Radar zu laufen, ist allerdings schon am ersten Tag von Shikis Oberschulzeit Geschichte. In der Auftaktveranstaltung der Schule stellen sich nämlich auch die Nachmittagsclubs der Schule vor, und Shiki findet sich plötzlich unfreiwillig auf der Bühne wieder, wo er wo er gegen andere Schüler in einem Quizwettbewerb antreten muss und tatsächlich mit seinem Faktenwissen erstmalig öffentlich auffällt. Er erhält vom Club einen Bogen mit Testfragen und stellt fest, dass er diese leicht beantworten kann. Später zieht er sich zum Mittagsessen wie gehabt in die Schulbibliothek zurück. Hier schlägt der Zufall erneut zu und verschafft Shiki ein zweites Ersterlebnis: intensiver Körperkontakt mit einem gleichaltrigen Mädchen. Sie stürmt durch die Regalreihen und stolpert dabei über Shiki, wobei die beiden aus Versehen ihre ausgefüllten Quizzettel vertauschen. Man ahnt es bereits: Mari Fukami ist Mitglied des Quizclubs und wird durch die komplett beantworteten Fragen auf Shiki aufmerksam, wonach sie ihn bestürmt, dem Quizclub beizutreten. Im ersten internen Wettbewerb werden Shiki aber erstmal kräftig die Flügel gestutzt: Obwohl er weiterhin fast alle Fragen beatworten kann, kommt er gar nicht dazu das nachzuweisen, weil die anderen einfach schneller am Buzzer sind. Es zeigt sich, dass ein umfangreiches Allgemeinwissen nicht ausreicht; wenigstens genauso wichtig ist die Kenntnis gängiger Fragenkataloge und der Breakpoints der Fragen - und die Schnelligkeit des Buzzerfingers. Talent allein reicht also auch hier nicht, vor dem Erfolg steht wie immer: Trainieren, trainieren, trainieren!

Alles wie gehabt also, im Ganbatte, und dennoch anders. Hauptsächlich liegt das m. E. daran, dass man sich wegen der Natur des Wettbewerbs direkt in der Position des Wettberbers wiederfindet und dadurch abschätzen kann, wie man selbst an Shikis Stelle (oder der anderer Pro- und Antagonisten) abgeschnitten hätte. Weiterhin fällt auf, dass der Anime anders als so mancher bekannter Sportanime sehr gut recherchiert ist. Der Ablauf der sogenannten Quizbowls wird weitgehend wirklichkeitsgetreu und nicht der Dramatik wegen verfälscht dargestellt. Die Eigenheiten der Wettbewerbe, das Zeitmanagement, die oben genannten Breakpoints oder auch die Turnierformate werden detailliert erklärt und gleichzeitig flüssig in die Geschichte eingebunden. Und weil es eben ein Quiz-Anime ist, findet man vielfach sein Allgemeinwissen aufpoliert oder bei gewissen, bislang scheinbar uninteressanten Themengebieten sogar neu angelegt. Sowas kann man sicherlich mit anderen Randsportart-Ganbattes auch so erleben; aber in nicht vielen anderen Anime wird man von einer derartigen Flut von Faktenwissen gewissermaßen erschlagen. Ich kann mir sowas auch sehr gut auch als Unterrichtseinheit in der Schule vorstellen: Immer mal eine Folge anschauen und danach direkt im Live-Quiz vor Ort anwenden...

Zugegeben, es wird so manches Charakter-Klischee bemüht, wie zum Beispiel das nerdige, technikaffine Tomboy-Mädchen, welches für immer die gleichen Eigenschaften haben wird, aber hier wenigstens eine der coolsten Artenbezeichnung aller vergleichbaren Animefiguren spazieren trägt: Human low current electronic device. Wie bitte?! Unser Protagonist Shiki macht dagegen über die zwölf Folgen eine echte Charakterwandlung durch, die über die bestätigende, positive Verstärkung durch die Mitmenschen in seiner neuen Umgebung motiviert ist und deswegen ziemlich glaubwürdig rüberkommt. Mari Fukami, die weibliche Protagonistin, wirkte trotz ihrer Standardgeschichte auf mich irgendwie überhaupt nicht normal. Ich konnte lange Zeit nicht festmachen, woran das lag, habe aber nach den späteren Folgen festgestellt, dass die japanische Seiyuu von Mari neu im Beruf war, und ihre Leistung in den Webforen eher negativ eingeschätzt wurde. Auf mich war die Wirkung gegenteilig; gerade weil die Sprechrolle nicht im typischen Tonfall bekannter Seiyuus interpretiert wurde, hatte Maris Charakter etwas Ungeschliffenes und war (subjektiv) interessant. Es gibt ein beginnendes Liebesdreieck, das sich nicht im Bereich des üblichen Gestammels vor dem Erreichen einer festen Liebesbeziehung bewegt. Yuri-Freunde können eventuell seichte Yuri-Vibes entdecken, wenn sie es darauf anlegen - zumindest sind da befreundete Teilnehmerinnen aus einer reinen Mädchenschule bei den Wettbewerben. Die Gegner sind nicht nur reine Gegner, sondern auch Menschen mit eigenen Problemen und der scheinbar allwissende Clubchef zeigt mitunter Tiefe, wenn es mal um ihn geht. Es gibt charakterlich also mehr zu entdecken, als es mit dem generischen Einstieg den Anschein hat.

Ohne zuviel zu verraten, kann man noch erwähnen, dass auch das Ende nicht unbedingt einen der beiden oben genannten typischen Abgänge darstellt. Alles zusammen genommen ist Nanamaru Sanbatsu der einzige Ganbatte, der es in den öffentlichen Teil meiner Top-List geschafft hat - mit der dafür geringstmöglichen Bewertung. Ich bin mir gerade nicht mehr sicher, ob ich damals voreingenommen war und die Bewertung an meiner grundsätzlichen Abneigung gegenüber dem Genre litt, oder ob die gelegentlichen Schwächen der Grund dafür waren. Zeit für einen vollständigen Rewatch!

Der Anime hat mal die merkwürdigste Synchronstimme die ich bis jetzt gehört habe.